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„Händchen halten“, „Über die Haut streicheln“, „Vertrauen“. Zu Sexualität gehört viel mehr als Geschlechtsverkehr, das zeigt das „Gefühlsbett“ in unserer Ausstellung. Bild: Museum für Kommunikation Frankfurt, Foto: Stefanie Kösling.

Freuds Phasenmodell hat im Bereich „Aufgeklärt“ Platz in unserer Ausstellung gefunden. Trotz einiger berechtigter Kritik haben wir uns dazu entschieden, denn auch heute noch begegnen uns Bezüge zum Phasenmodell in Büchern und Broschüren zur sexuellen Bildung von Kindern. Dieser Blogbeitrag ist der Versuch, das Modell einzuordnen.

In „Apropos Sex“ zeigen wir, dass sich Sexualität von Geburt an entwickelt und dass sie weit über die Stimulation von Genitalien hinaus geht. Sie findet sich auch in verschiedenen anderen Sinneseindrücken und Erlebnissen, die wir allein oder mit anderen erleben können. Diese zentrale sexualwissenschaftliche Erkenntnis geht auch und nicht zuletzt auf die Schriften des Psychoanalytikers Sigmund Freud zurück.

1905 stellt Freud in „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ seine fünf Stadien der psychosexuellen Entwicklungen vor:  die Orale, Anale und Phallische Phase, die Latenzphase und die Genitale Phase. In jeder dieser Phasen beeinflusst laut Freud eine andere erogene Zone wie sich Sexualität, aber auch verschiedene andere Eigenschaften des Menschen ausprägen. Kinder sind dabei laut Freud grundsätzlich offen und neugierig, sich auf verschiedene Weisen lustvolle Gefühle zu bereiten.

Als charakteristisch für die ersten beiden Phasen erachtet Freud, dass zunächst der eigene Körper lustvoll erkundet werde. In der Phallischen Phase entstehe dann ein Interesse an geschlechtlichen Unterschieden und damit an den eigenen Genitalien, sowie an denen von anderen Personen. Vor der finalen Genitalen Phase des Modells, welche auf die Partner:innensuche und Fortpflanzung ausgerichtet sei, würde in der Latenzphase die sexuelle Triebenergie umgewandelt in verschiedene künstlerische, intellektuelle oder sonstige gesellschaftlich anerkannte Interessen. Zudem würden in dieser Phase Ekel, Scham und Moral aufgebaut.

Freud liefert damit eine Begründung dafür, dass sich Sexualität von Anfang an entwickelt und in Bezug steht zu verschiedenen nichtsexuellen Lebensbereichen des Menschen. Aus dieser Theorie ergeben sich Impulse für die Sexuelle Bildung.

In der Ausstellung ist Freuds Phasenmodell prominent vertreten. Hier erfahrt ihr Kontext zu seinem einflussreichen, aber umstrittenen Modell. Museum für Kommunikation Frankfurt, Foto: Marina Schilke.

Kindliche vs. erwachsene Sexualität

Freud vertritt die sogenannte heterologe Position, nach der sich die Sexualität von Kindern und Erwachsenen in ihren Ausdrucksformen grundlegend unterscheidet. Das Gegenstück dazu ist die homologe Position. Sie geht davon aus, dass die Ausdrucksformen von Kinder- und Erwachsenensexualität strukturell ähnlich sind und sich hauptsächlich in der Quantität  unterscheiden.

Was die homologe Perspektive vernachlässigt? Sie geht nicht auf zwischenmenschliche Beziehungen und Bedeutungen von sexuellen Ausdrucksformen bei Kindern ein. In der Sexualpädagogik hat sich daher weitgehend die heterologe Position durchgesetzt. Demnach werden etwa Körpererkundungsspiele (sogenannte Doktorspiele) als Teil einer natürlichen Neugier über das Entdecken des eigenen Körpers begriffen, ohne dass diese mit denselben Fantasien, Vorstellungen und Zielen aufgeladen sind wie bei Erwachsenen.

Kindliche und erwachsene Sexualität unterscheiden sich grundlegend. Das vermittelt profamilia Frankfurt auch zentral in ihren Workshops. Grafik: profamilia Frankfurt am Main.

Wie hängen kindliche und erwachsene Sexualität denn nun zusammen?

Erfahrungen im Kindesalter, seien sie sexueller oder nicht sexueller Natur, bilden eine wichtige Grundlage für die Entwicklung der erwachsenen Sexualität. Doch welche Rolle spielt die Erziehung der Eltern dabei? Liest man Freuds „Abhandlungen zur Sexualtheorie“, entsteht der Eindruck, dass das Scheitern in der Erziehung eines Kindes eigentlich vorprogrammiert ist. Ausführlich beschwört Freud die Gefahren jeder Phase. Laut ihm können die Reaktionen der Erzieher:innen auf kindliche Sexualität später zu allerlei Neurosen führen. Das erklärt wohl auch, warum das Phasenmodell in vielen Erziehungsratgebern bis heute präsent ist.

Neuere Forschung zeigt jedoch, dass manche Kindheitserlebnisse weniger entscheidend sind, als Freud dachte. Psychotherapeut Gunter Schmidt nimmt in einem Interview mit der BZgA Eltern ein Stück weit die Sorge, dass sie ihre Kinder mit zu lockeren oder zu strengen Reaktionen auf kindliche Sexualität wie Körpererkundung oder Masturbation zwangsläufig schädigen. Wichtiger für die Entwicklung einer gesunden Sexualität sind vielfältige Erfahrungen, wie die Erfüllung von Bedürfnissen, die Stärkung des Körpergefühls, sowie das Erleben von Sinnlichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen.

Die Theorie der „Sexuellen Skripte“ von Gagnon und Simon (1973) geht davon aus, dass Sexualität zwar in der Kindheit geprägt wird, aber durch Kultur, Beziehungen und soziale Normen ein Leben lang verändert werden kann. Ähnlich beschreibt John Money dieses Konzept als „Love Maps“ – eine mentale Landkarte sexueller Wünsche und Fantasien. Gunter Schmidt hält dies für plausibel, besonders im Hinblick auf die veränderte Sexualmoral und die Tatsache, dass  Menschen heutzutage oft mehr als nur eine sexuelle Beziehung haben. So können Erwachsene heute stärker selbst Autor:innen ihrer sexuellen Geschichte werden.

Was bleibt?

Freud wird heute unter anderem wegen mangelhafter empirischer Beweise seiner Theorien kritisiert. So basieren diese zu einem Großteil auf subjektiven Interpretationen von Fallstudien und nachträglichen Deutungen von Erlebnissen seiner Patient:innen. Anders als die auf modernen Methoden basierenden Ergebnisse der Entwicklungspsychologie oder der Soziologie sind seine Untersuchungen oft nicht replizierbar.

Zudem vernachlässigte seine Methodik oft soziale und kulturelle Faktoren wie Geschlechterrollen und die herrschende Sexualmoral. Dies zeigt sich auch in seinem Fokus auf das männliche Geschlecht, insbesondere in der „Phallischen Phase“. Nach der Feststellung geschlechtlicher Unterschiede würden Jungen hier eine Kastrationsangst und Mädchen einen Penisneid entwickeln, was sich wesentlich auf ihre sozialen Beziehungen auswirke. In dieser Phase ist auch der sogenannte Ödipuskomplex verortet, demzufolge Jungen ihre Mutter verehren und den Vater fürchten. Diese Theorien gelten heute als überholt, da sie individuelle Entwicklungsprozesse und diverse Familienstrukturen nicht berücksichtigen. Ebenso überholt sind seine Thesen zum klitoralen Orgasmus,  den er als „unreif“ abtat.

Penisneid? Längst überholt. Auf unserer Genital-Malwand dürfen Besucher:innen ganz erlaubt Vulven und Penisse zeichnen. Bild: Museum für Kommunikation Frankfurt.

Obwohl viele von Freuds Sexualtheorien heute aktuelleren Erkenntnissen Platz machen müssen, prägte er mit seiner Theorie das Verständnis von Sexualität als einen umfassenden, lebenslangen Entwicklungsprozess, der über bloße Fortpflanzung hinausgeht. Freuds Phasenmodell bleibt trotz der zahlreichen Kritikpunkte ein bedeutender Beitrag zur Geschichte der Entwicklungspsychologie und der Sexualforschung. Deswegen ist er in unsere Ausstellung eingezogen.

Mehr zum Thema Sexuelle Bildung erfahrt ihr in unserer Ausstellung und auf folgenden Veranstaltungen:

So 4. Mai • 15 Uhr
„Anybody“ – Interaktive Lesung mit Bildprojektion
aus dem Buch
Die  Frankfurter Illustratorin Anke Kuhl und die Sexualpädagogin Katharina von der Gathen sind mit ihrem Buch „Anybody“ im Museum zu Gast. Es geht um Schönsein früher und heute, Körperveränderungen, Einzigartigkeit, Berührungen, erste Eindrücke, Nacktsein,
Gemeinheiten, Komplimente, Körpertricks uvm. Die Autorinnen gehen mit den Teilnehmenden spielerisch ins Gespräch. Anke Kuhl wird live zeichnen.

So 1. Jun
Aktionstag – Von Beginn an Aufklären
Körperwissen und sexuelle Bildung sind von Beginn an wichtig, um Kinder zu stärken. So bekommen schon kleinste Kinder ein gutes Selbstwert- und Körpergefühl und können ihre
Grenzen benennen. Wie begleiten Eltern und Erzieherinnen Kinder altersgerecht in ihrer sexuellen Entwicklung, ohne sie zu überfordern? Wie reagiert man bei Doktorspielen, Übergriffen unter Kindern und Selbstbefriedigung? Wie schützt man sein Kind vor sexualisierter Gewalt? Dazu haben wir Speaker:innen sowie Einrichtungen eingeladen. Sie informieren und klären auf und vermitteln unterhaltsam und spielerisch.
Eintritt frei!

Mehr Infos zum Programm veröffentlichen wir hier.