Unerreichbare Körperbilder, Mutter-Tochter Beziehungen und queere Mutterschaft. Zum queer-feministischen Kampftag am 8. März verwandelte sich unser Museum zu einer Bühne für Autorinnen des Sammelbands „Ich bin VIELE! Neue ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ des S. Fischer Verlags. Ein Bericht zur Buchpremiere.

Museumsdirektorin Annabelle Hornung eröffnet die Veranstaltung. Bild: Museumsstiftung Post und Telekommunikation (MSPT).
„Halt! Ich bin nicht einverstanden mit diesem Programm, und schon gar nicht mit einem heimlich installierten. Ich möchte es ausschalten, nicht aushalten.“ Lukas kommt. Und die Protagonistin aus Sabine Nilles‘ Rede, die an diesem Abend den Auftakt gestaltet, beginnt zu putzen. Dabei ist sie doch eigentlich feministisch aufgeklärt, hat das Patriarchat in der Theorie voll durchschaut. Aber die Glaubenssätze, die dieses Patriarchat in uns pflanzt und die Erwartungen, die es an uns stellt, das wird an diesem Abend wieder klar, sitzen tief.
Tief in uns selbst, etwa wenn der schwangere Körper nicht einfach schwanger sein darf, sondern Erinnerungen an eigentlich überwundene Essstörungsmuster weckt: „Du trägst keine Schuld. Ich will, dass du kommst. Ich will, dass du bleibst. Wenn ich weine, weine ich nicht um dich. Ich weine um das, was der Umstand mit mir macht. Weil ich mich vor dem fürchte, was mein Körper mit mir macht“. So richtet Hanna Sophie Schäfer in ihrer Rede das Wort an ihr Ungeborenes.

Begleitet wurden die Reden vom Singer-Songwriter-Duo Tigisti und Welela. Bild: Museumsstiftung Post und Telekommunikation.
Nicht nur in uns, auch in den Einrichtungen, die unseren Alltag bestimmen, sitzen die patriarchalen Konventionen tief. Weder in Köpfen von Servicehotline-Mitarbeiter*innen, noch im deutschen Abstammungsrecht kommt die Realität von Freya Baur, ihrer Ehefrau und ihren beiden Kindern vor. Solange unsere Vorstellungen und Institutionen von der Norm der Vater-Mutter-Kind-Familie bestimmt sind, gehören von kleinen „Oh“s begleitete Outings und umständliche Sonderregelungen zum Alltag ihrer Familie: „Während nach dem „Oh”, in der Pause, also die Welt neu strukturiert werden soll, neue Formulare und neue Gesetze und neue Familienkonzepte gefunden werden sollen, sind wir mittendrin in einem Alltag, in dem sich alles so gleich und so alt wie die Zeit anfühlt und warten eigentlich nur darauf, dass die Lücke nach dem „Oh” endlich gefüllt wird mit der Realität für alle“, schließt sie ihre Rede.
Das Programm des Patriarchats ist also nicht nur heimlich installiert, sondern auch noch ganz schön schwer loszuwerden. „Doch was braucht es, um statt Aushalten und Mithalten eine Haltung zu entwickeln, eine Haltung zur Erwartung an sich selbst, eine Ungehaltenheit den Konventionen gegenüber?“ fragt Sabine Nilles‘ Protagonistin weiter. Die Frauen, die ihre patriarchalen Lebensrealitäten mit unserem Publikum teilen, machten am 8. März auf der Bühne unseres Museums einen Anfang, den Konventionen entgegen zu treten.

Neben Freya Baur (links), Sabine Nilles und Hanna Sophie Schäfer (dritte und zweite von rechts) hielten auch Bushra Kanafani und Alexa Rudolph (zweite und dritte von links) ergreifende Reden. Friederike Emmerling (rechts) leitete durch den Abend.
Das Buch „Ich bin VIELE! Neue ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ ist ein Projekt der Stiftung Brückner-Kühner und des S. Fischer Verlags. Gemeinsam mit dem Archiv der deutschen Frauenbewegung, der Stadt Kassel und dem Hessischen Rundfunk riefen sie zum vierten Mal in Folge Frauen dazu auf, dem Raum zu geben, was sie ungehalten macht. Das Buch und seine Vorgänger sind beim S. Fischer Verlag erhältlich.
Die Veranstaltung war Teil unseres Veranstaltungsprogramms zur Ausstellung „Apropos Sex“ im Museum für Kommunikation Frankfurt. Über aktuelle Veranstaltungen informieren wir auf unserer Website und im Newsletter.