Schon seit 33 Jahren gehen queere Menschen für den Kampf um Gleichberechtigung und Sichtbarkeit auf die Straße. Bild: Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Der Christopher Street Day (CSD) findet nicht nur auf den Straßen, sondern auch in unserem Museum statt. Pressesprecher Sebastian Reggentin von CSD Frankfurt e.V. spricht mit uns darüber, ob rechte Anfeindungen auch in Frankfurt spürbar sind und was er sich von der Mehrheitsgesellschaft wünscht.
Museum Kommunikation Frankfurt: Im Raum “Sexualität und ich” unserer Ausstellung zeigen wir unseren Besucher:innen verschiedene Einblicke in den Frankfurter CSD im Laufe der Zeit. Wann hat der CSD zum ersten Mal hier stattgefunden?
CSD Frankfurt: Unseren ersten CSD in Frankfurt gab es schon 1992, wir sind jetzt im 33. Jahr. Weil wir immer weiter gewachsen sind, sind wir seit 2012 ein eingetragener Verein. Wir sind ein buntes Team, mit sieben Vorständen und Vorständinnen und im Orga-Team so 20 bis 30 Leuten, die den CSD komplett ehrenamtlich auf die Beine stellen.
In welchem politischen Umfeld fand das damals statt?
Wenn ich mich daran erinnere, dass der Politiker Klaus Wowereit 2001 noch Wellen geschlagen hat mit dem Statement “Ich bin schwul und das ist auch gut so”, da war es da schon nicht weit her mit queeren Rechten – und 1992 dann natürlich noch weniger. In den letzten 33 Jahren ist einiges in die richtige Richtung passiert.
Tatsächlich kann man ja beobachten, dass die Sichtbarkeit der queeren Community und damit auch die Popularität von CSDs in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Wie habt ihr das erlebt?
Seit Corona erleben wir tatsächlich einen deutlichen Zuwachs, vor allem an sehr jungen Menschen. Wir glauben, dass die Generation durch Fridays for Future und durch den Rechtsruck in Deutschland politisierter ist als zuvor. Und dass die auch sehr deutlich zu sich stehen und schon in jungen Jahren sagen “Mit einer Demo, mit dem öffentlichen claimen von Raum können wir was erreichen”. Und das merken wir natürlich – gerade weil wir jetzt in einer Phase sind, in der es eher um das Verteidigen des schon Erreichten geht, brauchen wir so viele Menschen wie möglich auf unserer Seite.
Wir sehen ja leider auch in den Statistiken, dass queerfeindliche Übergriffe zunehmen. In vielen Städten gibt es von rechts motivierte Gegendemos zu den CSDs. Auch vor unserem Museum hängt im Kontext der Ausstellung ein großes Pride-Banner – das erste wurde zerschlitzt, mutmaßlich aus queerfeindlichen Motiven. Wie geht ihr mit solchen Anfeindungen um?
Wir können uns tatsächlich sehr glücklich schätzen, dass die Frankfurter Stadtgesellschaft doch sehr liberal und weltoffen ist. Und dass wir eine Stadtverwaltung haben, die uns hier immer unterstützt. Manchmal hört man Beleidigungen oder dumme Kommentare von der Seite. Aber solche Nazi-Aufläufe wie zum Beispiel letztes Jahr in Bautzen gibt es bei uns zum Glück nicht. Das ist wohl auch das Privileg einer Großstadt.
“Die meisten Menschen sind so mit ihrem Alltag beschäftigt, dass sie keinen Raum mehr haben, sich für andere einzusetzen.”
Würdest du denn sagen, der Staat und die Dominanzgesellschaft tun genug, um CSDs und die queere Community zu schützen? Was wünscht ihr euch von ihnen?
Nein, überhaupt nicht. Das ist oft die stumme Mehrheit, die zwar sagt: „Jeder soll lieben, wie er will“, aber sobald es konkret wird, heißt es schnell: „Jetzt belästigt mich doch nicht wieder damit, wir haben wichtigere Probleme.“ Vor allem in der Politik wird immer noch viel zu wenig für Aufklärung getan – gerade in Schulen. Da erreicht man die jungen Menschen, aber es fehlt an Antidiskriminierungsarbeit, nicht nur für queere Personen, sondern für alle Minderheiten. Die meisten Menschen sind so mit ihrem Alltag beschäftigt, dass sie keinen Raum mehr haben, sich auch noch für andere einzusetzen. Das größte Problem ist also oft nicht böser Wille, sondern Ignoranz – dass sich viele einfach nicht mehr für die Probleme anderer interessieren.
Welche Forderungen stehen in diesem Jahr im Zentrum vom CSD?
In Deutschland geht es weiterhin um die Anpassung von Artikel 3 des Grundgesetzes (dem Antidiskriminierungsverbot, Anm. d. Red.), damit geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung dort endlich verankert sind. Gerade wenn man den Rollback in den USA sieht, die transfeindlichen Gesetze und den Rückzug von DEI (Diversity, Equity, Inclusion, Anm. d. Red.)-Initiativen, merkt man, dass viele Firmen das wohl doch eher aus Image-Gründen gemacht haben. Diesen Druck spüren wir auch. In Deutschland haben wir rechtlich zwar viel erreicht, und ich würde sogar sagen, die Gesetzeslage ist weiter als die gesellschaftliche Stimmung. Es geht jetzt mehr um gesellschaftliche Akzeptanz, als um neue Gesetze.
Gerade stehen für euch also Bildungsinitiativen und öffentliche Sichtbarkeit im Zentrum. Wie arbeitet ihr stadtpolitisch an euren Forderungen?
Wir sind in verschiedenen Arbeitskreisen tätig, aktuell geht es zum Beispiel viel um die Sensibilisierung der Polizei für queere Themen. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder von der Gay-Szene gehört, dass es vor den Bars in der Frankfurter Innenstadt immer mehr Angriffe gibt und die Polizei deshalb ihre Präsenz dort verstärkt hat. Viele queere Menschen haben aber immer noch Probleme, Übergriffe anzuzeigen, weil sie eben nicht wissen, wie der Polizist am anderen Ende damit umgehen wird. Und da muss noch viel geschehen. Deswegen arbeiten wir an der stärkeren Sensibilisierung für solche Themen in der Stadtpolitik und vor allem bei der Polizei.
“Hinter Unternehmensauftritten stehen oft queere Mitarbeitende, die innerhalb ihrer Unternehmen für Sichtbarkeit und Akzeptanz kämpfen.”
Immer wieder lautet die Kritik an den CSDs, dass es neben der Kooperation mit der Polizei auch starke Kooperation mit großen Marken gibt. Die Rede ist dann häufig von “Pinkwashing” und davon, dass es bei den Veranstaltungen primär um Party geht. Die politischen Forderungen gingen dabei unter, was in starken Kontrast stehe zu der Revolte gegen queerfeindliche Repressionen am ursprünglichen Christopher Street Day 1969, so die Kritik. Wie reagiert ihr auf solche Positionen?
Die Kritik ist ja durchaus berechtigt. Wir stehen da in einem Spannungsfeld: Einerseits nutzen Marken unsere Sichtbarkeit für Werbung, mit Hochglanzbildern und Pride-Wagen. Andererseits brauchen wir als ehrenamtliche Organisation auch deren Geld. Man muss aber auch sagen: Hinter solchen Unternehmensauftritten stehen oft queere Mitarbeitende oder Diversity-Gruppen, nicht einfach die Marketingabteilung oder die CEOs. Für viele von ihnen ist das persönlich wichtig. Sie kämpfen innerhalb ihrer Unternehmen für Sichtbarkeit und Akzeptanz, z. B. die „Diversity Flights“ von der Lufthansa. Aber natürlich wissen die auch, dass in dem Moment Werbung mit ihnen gemacht wird.
Mit der Polizei hatten wir vor zwei Jahren die Situation, dass ein Polizeiwagen bei der Demo angegriffen wurde – wahrscheinlich von Aktivist:innen aus dem linken Spektrum. Diese Kritik, dass die Polizei der Feind sei und bei uns nicht mitlaufen dürfe, gibt es immer wieder. Aber auch da sagen wir: Es sind queere Beamt:innen, die mitgehen – Menschen, die die Polizei von innen heraus verändern wollen.
Und deswegen wollt ihr sie auch stärken.
Ja genau, da ist es wirklich am besten, das von innen heraus zu machen. Von außen kann man draufhauen. Da könnte man gerade bei der Polizei glaube ich, gar nichts erreichen, weil diese Institution so in sich gefestigt ist. Aber wenn es Menschen gibt, die von innen Veränderungen anschieben, dann muss man das fördern. Auch wenn es die Polizei ist.
Wir fragen uns: Was sollen wir sonst machen? Einen Fackelmarsch organisieren?
Und das Spannungsfeld zwischen Party und politischen Forderungen?
Uns in Frankfurt ist tatsächlich wichtig, dass der CSD auch in den Medien “Demonstration” genannt wird, nicht “Parade”. Und gleichzeitig fragen wir uns, was sollen wir sonst machen? Einen Fackelmarsch organisieren? Marodierend durch die Stadt ziehen und alles kurz und klein schlagen, weil wir so wütend sind? – Nee, mit Speck fängt man Mäuse. Es ist halt schöner zu sehen, wie Menschen das Leben lieben und mit guter Laune in bunten Outfits zeigen: “Wir haben Spaß am Leben, feiert doch mit uns”. Es geht darum, dass wir doch einfach auch nur leben und lieben wollen, wie wir sind. Das und nicht mehr. Und das geht halt mit guter Laune und auch ein bisschen Party, denke ich, doch ein bisschen besser, als wenn wir einen Trauermarsch organisieren. In den letzten 50 Jahren hat es so ja auch ganz gut geklappt.
Merkt ihr denn, dass sich der aktuelle Rechtsruck in der Beteiligung von großen Marken niederschlägt?
Wir sehen, dass die Demowagen-Anmeldungen dieses Jahr schleppender laufen. Auch wenn ein Sponsoring ausläuft, hören wir oft, „wir haben das Geld momentan einfach nicht“. Nach außen nennen natürlich alle die wirtschaftlichen Gründe. Und das kann ja wirklich sein – an Marketing und Öffentlichkeitsarbeit wird zuerst gespart. Aber natürlich können wir nicht sicher sagen, ob nicht auch ein gesellschaftlicherStimmungsumschwung dahinter liegt.
Wie blickt ihr auf die kommenden Jahre? Was wünscht ihr euch von Frankfurt, von Deutschland?
Der ideelle Plan ist natürlich die absolute Gleichberechtigung und Akzeptanz aller Menschen in unserer Gesellschaft. Das müssen wir wahrscheinlich nicht extra erwähnen. In Frankfurt und deutschlandweit lautet das Ziel in erster Linie, dass wir gesetzlich nicht weitere Rückschritte machen, dass alles so bleibt, wie es ist.
Schön wäre natürlich, dass der CSD auf irgendeine Weise in jedem Stadtteil stattfindet, das wird auch immer wieder von der Politik versprochen. In Zukunft wollen wir außerdem mehr in die intersektionale Arbeit gehen.Mit noch mehr Menschen, auch denen, die nicht queer sind, zusammenarbeiten und Synergien schaffen für tolle Projekte.
Der Kampf lautet also erst mal der Erhalt des Status Quo.
Es geht in der Geschichte immer zwei Schritte vor und einen Schritt zurück. Und momentan sind wir in diesem einen Schritt zurück.
Danke für das Gespräch!
