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ALT-Text: Drei Personen in weißer Kleidung vor schwarzem Hintergrund. Eine humanoide Figur aus schwarzen Plastikfransen steht dazwischen.

Noa (links) und Linu (rechts) haben gemeinsam das Kollektiv glitterclit gegründet. Mit ihren Modellen erklären sie im Museum für Kommunikation intime Anatomie zum Anfassen. Bild: MSPT / Museum für Kommunikation Frankfurt / Foto: Timo Gertler

Noa Lovis Peifer und Linu Lätitia Blatt bilden zusammen das sexualpädagogische Kunstkollektiv „glitterclit“. Sie schneidern glitzernde, anatomisch korrekte Genitalmodelle und teilen ihr Wissen in Workshops und Vorträgen. Ihre Modelle „Viola die Vulvina“ und „Penelope Penoden“ haben in unserer Ausstellung Platz gefunden. Wir haben glitterclit gefragt, was es mit den glitzernd-plüschigen Modellen auf sich hat und wie man sein „Untenrum“ eigentlich benennen sollte.

ALT-Text: Digitaler Entwurf eines Ausstellungsraums mit Ausstellungstexten und Objekten auf bunten Wandschirm-Elementen

Die plüschigen Genitalmodelle von glitterclit darf man in unseren Ausstellungsräumen auch anfassen. Grafik: Studio Erika

1. Wie kamt ihr auf Idee, eure künstlerische Arbeit mit Sexualpädagogik zu verbinden?

Für uns ergibt das einfach Sinn. Als wir 2019 neben unserem Studium (u.a. für das Kunst-Lehramt) ehrenamtlich in der sexuellen Bildung tätig waren, fiel uns auf, dass es viel zu wenig Sichtbarkeit für den gesamten Aufbau der Klitoris gab. Die besteht tatsächlich – wie oft fälschlicherweise angenommen – nicht nur aus der Klitoris-Eichel, sondern ist ein eigener großer Schwellkörper. Wir fanden, dass davon mehr Menschen erfahren sollten. Also entwickelten wir kurzerhand selbst eine ineinander steckbare Kombi aus Vulvina- und Klitorismodell. Bäm! Doris die Klitoris und Viola die Vulvina waren geboren und konnten in sexualpädagogische Schulbesuche mitgenommen werden.

Im Laufe der Zeit entwickelten wir unsere Genitalmodelle immer weiter. Nach unserem Studienabschluss und einer sexualpädagogischen Weiterbildung arbeiten wir jetzt als bildende und schreibende Künstler:innen und Sexualpädagog:innen – wir sind der wunderschönen Schnittstelle zwischen künstlerischer Praxis und sexueller Bildung also treu geblieben.

2. In unserer Ausstellung begegnen die Besuchenden neben „Viola die Vulvina“ auch „Penelope Penoden“. Wie haben die sich aus euren anderen Modellen entwickelt und wieso heißen sie „Homologie-Kombi“?

Tatsächlich steckt hinter Viola und Penelope eine ganze Familie an glitzernden Persönlichkeiten, die die Besuchenden kennenlernen können: Doris die Klitoris und Schwanette der (Penis)Schwellkörper lassen sich jeweils in ihre großen Geschwister integrieren und wieder herausnehmen. Auf diese Weise kann die jeweilige genitale Anatomie anschaulich verdeutlicht werden.

Veranschaulichung war auch der Gedanke hinter unsere Homologie-Kombi: Durch die Gleichfarbigkeit wollen wir vermitteln, dass die anatomischen Strukturen aus dem gleichen (also homologen) Ursprung kommen. Im Embryo-Status haben nämlich alle Genitalien erstmal eine sehr ähnliche Struktur und erst im Verlauf der Zeit entwickeln sie sich eher in die eine oder in die andere Richtung, sodass ein Penis oder eine Vulvina entsteht.

 

Aus dem gleichen embryonalen Ursprung: Glitterclits bunte Genitalmodelle machen das Homologie-Prinzip verständlich. Grafiken: glitterclit.

3. Viele Menschen erzählen, dass sie erst lange nach ihrem schulischen Aufklärungsunterricht erfahren haben, wie die Klitoris wirklich aussieht. Ist das heute anders? Gibt es eure Anatomie-Modelle auch an Schulen zu sehen?

Wir beobachten, dass sich in den letzten Jahren schon viel geändert hat und das Wissen über genitale Anatomien eindeutig weiter verbreitet ist, als noch vor 10 Jahren. Das ist auch der Arbeit vieler Menschen vor uns zu verdanken, z.B. aus der sogenannten Frauengesundheitsbewegung der 1980er Jahre. Trotzdem ist noch viel zu tun. Sexuelle Bildung und damit die Vorbeugung von sexualisierter Gewalt sollte fester Bestandteil aller Bildungseinrichtungen sein. Was in vielen Einrichtungen auf dem Papier schon festgelegt ist, wird leider oft aufgrund von Überforderung und Unwissen nicht ausreichend umgesetzt.

In unserem Shop bestellen Sexualpädagog:innen, Biologie-Lehrkräfte, Sozialarbeiter:innen aus der Jugendarbeit und viele mehr. An der steigenden Nachfrage können wir ablesen: Es braucht anschauliche Materialien und gute Methoden, um mit Kindern und Jugendlichen über Körperwissen, Konsens, sexuelle Bildung und sexualisierte Gewalt ins Gespräch zu kommen. Leider merken wir aber auch, dass es oftmals immer noch am großen Engagement einzelner Personen hängt, ob sich wirklich etwas bewegt. Strukturelle Veränderungen brauchen viel Zeit.

4. Wenn Penis und Vulva nachgebildet werden, werden sie oft nach bestimmten Vorstellungen entwickelt, zum Beispiel dass nur eindeutig „männliche“ und „weibliche“ Genitalien existieren. Im schlimmsten Fall vermittelt man, es gäbe so etwas wie eine „Norm“, der Genitalien entsprechen müssen. Wie geht ihr damit in euerer Arbeit um?

Körper sind unterschiedlich. Jedes Genital ist anders, das ist anatomischer Fakt. Um intime Anatomien verständlich zu vermitteln, braucht es jedoch eine Vereinfachung. Das ist an sich erstmal nicht schlimm und auch unsere Genitalmodelle sehen ja nicht aus wie jedes einzelne Genital, z.B. glitzern sie, das tun ja die wenigsten Genitalien. Wenn in pädagogischen Kontexten anhand von unbeweglichen Materialien wie z.B. Bildern über Körper gesprochen wird, braucht es aber immer den Hinweis, dass es sich um eine Vereinfachung handelt und dass Körper auch ganz anders aussehen können.

Es gibt Genitalien, die sich nicht oder nicht eindeutig als Vulvina oder Penis zuordnen lassen, dann spricht man von inter (das bedeutet dazwischen). Inter Genitalien sind nicht krank oder falsch, sondern einfach Teil menschlicher Vielfalt. Mit unserer Homologie-Kombi kann durch das Verschieben (und damit das optische Vergrößern und Verkleinern) der Schwellkörper gezeigt werden, wie Variationen an inter Genitalien aussehen können. Auf diese Weise vermittelt unsere Homologie-Kombi, dass sich Genitalien nicht immer binär aufteilen lassen und dass es ein riesiges Spektrum an Körperformen gibt.

Außerdem haben unsere Modelle alle weiblich gelesene Namen, auch die Penis-Modelle. Wenn wir bei Lesungen oder Workshops Penelope Penoden und Schwanette den Schwellkörper vorstellen, entsteht meist ein Irritationsmoment, der Teilnehmende dazu einlädt, über Geschlecht und Körper zu reflektieren. So werden Fragen besprechbar wie: Wieso sollte es keinen weiblichen Penis geben? Gibt es nicht vielleicht auch Genitalien, die kein Geschlecht haben? Welche Rolle spielt mein Genital in meiner eigenen Geschlechtlichkeit?

 

ALT-Text: Digitaler Entwurf eines Ausstellungsraums mit Ausstellungstexten und Objekten auf bunten Wandschirm-Elementen

Für die Ausstellung haben wir mit glitterclit ein Video gedreht. Darin stellen die beiden sich und ihre Genitalmodelle den Besucher:innen vor. Bild: MSPT / Museum für Kommunikation Frankfurt / Foto: Timo Gertler

5. Eure Modelle haben in unserer Ausstellung ihren Platz im Kapitel „Die Dinge beim Namen nennen“. Dazu habt ihr auch ein Buch geschrieben. In „Untenrum – und wie sagst du?“ nennt ihr neben den medizinisch korrekten Begriffen auch viele andere, z.B. Dödel, Pullermann, Katze, Ding-Dong oder Vulvina. Warum haltet ihr es für wichtig, dass schon kleine Kinder lernen, über ihre Genitalien zu sprechen? Und sind dabei alle Begriffe gleich gut?

Das ist ganz klar: Kinder brauchen Wörter für ihre Genitalien, um einen positiven Zugang zu ihrem Körper zu lernen und benennen zu können, wenn sie sich verletzt haben oder noch schlimmer: wenn sie einen Übergriff erlebt haben. Zu üben, über Genitalien zu sprechen, ist also ein konkreter Teil von Gewaltprävention. In unserem Buch haben wir den Ansatz, dass wir dazu auf spielerische Weise einladen wollen. Wörter wie Pullermann, Muschi oder Ding-Dong können Spaß machen und uns zum Lachen bringen – und wenn wir lachen, wird die Scham direkt ein bisschen kleiner.

Neben spielerischen Wörtern ist es aber auch wichtig, Kindern Wörter zu vermitteln, die Erwachsene gut verstehen können, falls ein Kind Hilfe braucht. In unserem Buch nennen wir das Profi-Sprache. Wörter wie Penis, Vulvina oder Genital sind Wörter, die jedes Kind kennen sollte. Wenn es uns als Erwachsene schwerfällt, diese Wörter auszusprechen empfehlen wir, sich alleine vor den Spiegel zu stellen und jedes Wort zehn Mal aufzusagen. Diese Übung fühlt sich am Anfang vielleicht etwas komisch an, sie hilft aber sehr – und macht am Ende vielleicht sogar richtig Spaß!

Wollt ihr mehr über glitterclit erfahren? Auf ihrem instagram-Account teilen die beiden Geschichten aus ihrem Atelier, von ihren Lesungen und vielen anderen Projekten!