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In ihrem Laden transnormal hat Manuela Mock schon Vielen dabei geholfen, sich über die ihnen zugewiesene Rolle hinwegzusetzen. An den Wänden dokumentiert sie die Transformationen ihrer Kundinnen.

Unter dem Namen Transnormal eröffnete Manuela Mock vor 20 Jahren die erste „Damenboutique für den Herrn“ an Frankfurts Baseler Platz. Zu ihren Kund:innen gehören vor allem Transvestiten, also meist Männer, die gerne mit weiblich gelesenen Geschlechtsattributen spielen, aber auch trans Frauen. Ein Gespräch über ihre Arbeit, den Mut, zu seinen Bedürfnissen zu stehen und die Frage, was eigentlich „normal“ bedeutet.

MKF: Manuela, wer gehört zu deinen Kund:innen und welchen Service bietest du ihnen an?

Die meisten meiner Kundinnen sagen mir nicht ihren echten Namen oder wo sie herkommen. Das interessiert mich auch gar nicht. Sie sind ja hier, um den Kopf abzuschalten und nicht daran zu denken, was sie erwartet, wenn sie heimkommen und die Routine wieder beginnt. Hier ist es einfach so, Kopf aus, auf die weibliche Seite konzentrieren. Schminke, hochhackige Schuhe, Make-up, ins Kaufhaus gehen, BH auf und zu, tolle Dessous kaufen, beraten werden, solche Dinge machen wir dann zusammen. Ich bin also die Komplizin oder die Mietfreundin für die paar Stunden, die wir unterwegs sind.

MKF: Dabei geht es aber sicher um mehr als Styling und Shopping-Ausflüge, oder?

Klar, es geht auch viel ums Gespräche führen, denn da gibt es einfach viel Gesprächsbedarf. Menschen, die in einer ganz anderen Welt leben und ihre weibliche Seite nur hier ausleben, haben natürlich auch Wünsche, die sie niemandem anvertrauen können. Umso wichtiger ist, dass sie einen Ort haben, wo sie hingehen können, wo sie in guten Händen sind. Und wo auch ein Netzwerk geboten wird von Menschen, die sie als Transvestiten unterstützend begleiten, in allen möglichen Dingen.

Wenn jemand sexuelle Wünsche hat, können die nicht erfüllt werden, das ist bei mir absolut tabu. Ich habe aber zumindest ein Netzwerk und kann es in die richtigen Hände weitergeben. Manchmal möchte jemand zum Beispiel in ein Bordell gehen, dort selber arbeiten, in einen Striptease-Laden gehen, selber erotische Fotos von sich haben, und und und.

MKF: Läuft das immer reibungslos ab? Oder gibt es da auch mal schiefe Blicke?

Da erzähl ich euch eine Geschichte, das ist gar nicht so lange her. Da kam eine Kundin, Christelle, zum Styling. Wir haben ihr einen roten Ledermini und ein schönes Top und High Heels ausgesucht. Und dann wollten wir Mittagessen gehen. Wir sind gerade auf dem Weg nach draußen, da begegne ich einem Bekannten, der immer hier in die Moschee geht. Wir kennen uns, weil er auch mit Antiquitäten handelt. Er sagt “Ach Hallo Manuela. Ich wollte gerade zu dir, ich habe dir was mitgebracht.” Dann zieht er sein Gewand hoch, und zieht aus seinem Hosenbund eine Peitsche heraus. Und sagt “Die habe ich von einer Haushaltsauflösung. Vielleicht kannst du die für deinen Laden gebrauchen.” Ich peitsche hier zwar keinen aus. Aber es ist ein tolles Accessoire.

Dann habe ich also diese tolle Lederpeitsche in der Hand. Und auf dem Weg zum Essen kommen wir auch noch an einer Baustelle vorbei. Wir machen ein kleines Shooting, innerhalb von zwei Minuten kommen einige Bauarbeiter immer näher, starren uns an. Aber das habe ich nicht negativ wahrgenommen. Dann sind wir weiter zum Essen. Da sind natürlich gerade die ganzen Leute aus den Büros zum Mittagstisch erschienen. Und jetzt sitze ich da und lege die Peitsche auf den Tisch. Dann haben die natürlich auch gedacht “Die Alte ist eine Domina. Und hat jetzt gerade eine Session im Studio. Und hat jetzt hier ihren Gast erst mal zum Mittag rausgeführt. Und lässt sich einladen.” Ist mir doch egal, was die Leute denken. Ich weiß ja, wie es wirklich ist.Aber die können alle denken, was sie wollen. Es ist alles nur in ihrem Kopf.

MFK: Es macht natürlich total viel aus, wenn man so selbstbewusst auftritt. Damit nimmst du den Leuten viel Angriffsfläche.

Genau. Das ist genau der Punkt. Leg doch gleich die Karten auf den Tisch. Mach doch kein großes Geheimnis. Dann ist es auch nicht mehr so spannend. Spannend ist nur der Blick durch das Schlüsselloch. Das Heimliche.

MKF: Im Namen deines Ladens, transnormal, steckt ja das Wort “normal”. In unserer Ausstellung sind Normativität und Vorstellungen von Normalität ein zentrales Thema. Was bedeutet “normal” für dich?

Ja, was ist normal? Allein das Wort ist schon absurd. Ich habe den Namen transnormal gewählt, um das zu unterstreichen. Man sagt ja so oft, “Das ist doch ganz normal” und spricht dann von irgendwelchen starren Kategorien. Und dann habe ich daraus gemacht, das ist doch transnormal. Es ist für mich selbstverständlich, dass jeder Mensch sich ausdrücken kann, wie er oder sie möchte. Das ist für mich normal. Warum muss ich immer etwas einordnen? Wofür ist das gut?

MKF: Gibt es denn so etwas wie “normale” Sexualität, “normale” Geschlechter?

Ich kann heute etwas sagen und morgen habe ich es vergessen. Und so kann es auch mit Geschlechtern sein. Das ganze Leben ist ein Fluss. Und das ganze Leben ist eine Beeinflussung. Es ist eine Wiederholung von anerzogenen, angelernten Dingen. Warum soll ich nicht mal was anderes machen? Viele Jungs ziehen sich mal ein Röckchen an und probieren was aus. Ich habe mir als kleines Mädchen Orangen unter das T-Shirt geschoben. Diese Spielerische, das wird Frauen zugestanden oder Mädchen, aber Jungs nicht. Was soll denn das? Eigentlich sind ja alle Menschen gleich. Da gibt es nur diese Geschlechtsmerkmale, denen viel zu viel Bedeutung zugemessen wird.

MKF: In unserer Ausstellung kann man im Themenbereich „Aufklärung“ sehen, dass im Laufe unseres Lebens zahlreiche Akteure für unsere sexuelle Bildung wichtig sind. Inwiefern bist du mit deiner Arbeit auch Aufklärungsakteurin?

Man glaubt gar nicht, wie wenig Erfahrungen viele erwachsene Menschen haben. Wie viel Angst sie haben, auch Angst vor Sexualität. Und im Fall meiner Kundinnen auch Angst vor dem Zulassen der eigenen Weiblichkeit. Weil man dann ja preisgibt, dass man “schwach” ist, in Anführungsstrichen. Eine Frau ist die Schwächere. Und wenn du dich als Mann als Frau anziehst, dann bist du ja super schwach. Das erfordert viel Mut. Und sehr viel Mut, um zu sich selber zu stehen und sein inneres Gefühl sichtbar zu machen.

Ich bin also auch Aufklärungsakteurin, ganz einfach, indem ich Menschen auf ihrem Weg unterstütze. Und man mir auch alles erzählen kann.

MKF: Gehst du da auch in Kontakt mit den Partner:innen deiner Kund:innen?

Ja, es gibt auch viele Paare, die mich besuchen. Wo zum Beispiel die Frau dann Probleme hat mit der “Weiblichkeit” ihres Mannes. Viele Frauen sagen dann, das will ich gar nicht sehen. Die geben dann ihren Partner hier an der Tür ab und gehen dann selber shoppen. Und wollen erst zurückkommen, wenn das wieder alles rückgängig gemacht wurde, wenn der Mann wieder abgeschminkt ist.

Es gibt zwar auch einige, die es sehr positiv aufnehmen. Aber oft ist es das Problem vieler Transvestiten, dass sie zu Hause nicht willkommen sind. Also dass die Frau oder Partnerin das in der Regel ablehnt. Viele Partnerinnen denken dann auch, “Ohje, hoffentlich lässt er sich jetzt nicht komplett operieren”. Ja, das ist möglich, wenn sich die Person als trans Frau identifiziert und eine Geschlechtsangleichung möchte, aber das muss nicht sein. Es kann auch nur ein temporärer Wunsch nach Weiblichkeit sein, eine Neugierde.

MKF: Manuela, vielen Dank für das Gespräch!

Wollt ihr noch mehr von Manuela hören? Für unsere Ausstellung hat sie uns erzählt, wie sie ihre Aufklärung erlebt hat. Im Regal „Aufklärungsgeschichten“ könnt ihr neben vielen Stimmen auch ihre hören!