Für „Apropos Sex“ haben wir Wörter gesammelt, die wir für „Sex haben“ benutzen. Dabei sind uns ein paar Muster aufgefallen.
Knick-Knack, Matratzensport, bumsen, knallen, ficken. Zu wenigen Aktivitäten fallen uns wohl so viele Metaphern ein, wie beim Thema Sex. Für eine Station in unserer Ausstellung haben wir einige Sexwörter gesammelt. Was dabei auffällt? Unser Sexvokabular kennt vor allem eine Perspektive: Sie ist männlich, heterosexuell und penetrationszentriert. Dabei bleibt einiges unsichtbar. In unseren Beiträgen zu der Sprachbilder-Station teilen wir Gedanken mit euch, die in der Ausstellung so keinen Platz gefunden haben.
Unser Sex-Vokabular ist Jahrhunderte alt
In unseren Ausstellungsstationen lernt ihr einiges über die Herkunft verschiedener Sexwörter. Wortursprünge können dabei Aufschluss darüber geben, mit welchen Vorstellungen bestimmte Begriffe belegt sind. „Ficken“ war zum Beispiel ein Wort für „schnelles hin- und herbewegen“, das „Fickeisen“ war nichts anderes als ein Bügeleisen. Eine „Fickmühle“ betrieb eine vor- und zurückstoßende Stange. Poppen hatte die gleiche Bedeutung, vermutlich hieß es so viel wie „stopfen“. „Pimpern“ kommt vom „Pümpel“, also einem Mörserstößel. Wer „pimperte“, bearbeitete also genau genommen ein Material mit einer kleinen Keule. „Nageln“ und „hämmern“ bedienen sich ähnlichen Bildern aus dem Handwerk.
Die Rollenverteilung in unserem Sex-Vokabular scheint klar zu seinen: Sex, das ist ein Mann mit einem „Gerät“, der, mitunter aggressiv, macht und eine Frau, die bearbeitet wird. Damit zementieren viele Sexwörter hartnäckige Rollenvorstellungen von aktiver Männlichkeit und passiver Weiblichkeit.
Unser Sex-Vokabular ist penetrationsfixiert
Aber nicht nur die Rollenverteilung scheint festgelegt, auch für das Treiben an sich lässt unserer Sprache kaum viel Raum für Kreativität. Rein, raus, Sex ist Penetration, klar. Dabei entspricht dieser Penetrationsfokus weder den vielfältigen Praktiken, die Sex ausmachen können, noch scheint er der Vorliebe vieler Frauen zu entsprechen: „Wenn Frauen den Sexualakt frei gestalten könnten, würden sich viele vermutlich überhaupt nichts in ihre Vagina stecken, sondern ihre Klitoris reiben“, so die Chefärztin für Gynäkologie Mandy Mangler in einem Interview. Das zeige sich auch an der Entwicklung von Sextoys: Viele haben optisch nicht mehr viel mit einem Penis zutun. Unsere Sprache über Sex scheint dagegen bei der Penetration hängen geblieben zu sein.
Unser Sex-Vokabular kreiert Realitäten
Warum uns das kümmern sollte? Einseitige Sprachbilder haben Folgen. „Metaphern können Realitäten kreieren, vor allem soziale Realitäten“, so die Sprachwissenschaftler George Lakoff und Mark Johnson in ihrem Klassiker „Leben in Metaphern“. Die Worte, die wir verwenden, strukturieren unser Denken und damit auch unser Handeln. Wenn bestimmte Vorstellungen – Aggression, Penetration, weibliche Passivität – in unserem Sprechen über Sex dominieren, beeinflusst das also unsere Erwartungen und unser Verhalten. Diesen Zusammenhang betont auch die Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal in ihrem Buch „Vergewaltigung“: Sprachmuster, die eine passive und unterwürfige weibliche Sexualität einer aggressiven und dominanten männlichen Sexualität gegenüberstellen, können als Voraussetzung und Rechtfertigung von sexualisierter Gewalt dienen.
Einseitige Sprache trifft auf vielfältige Praxis
Was also tun? Sexuelle Praktiken sind vielfältig, manchmal kinky, und sie finden jenseits der Grenzen zweier Geschlechter statt. Wann kommt diese Vielfalt in unserer Sprache an?
Es gibt sie, die Gegenentwürfe, die uns einladen, aus den klassischen Rollenzuschreibungen auszubrechen: Die Journalistin Bini Adamzcak schlug 2016 den Begriff “Zirklusion” als Alternative zu “Penetration” vor. Die Vagina sei schließlich alles andere als passiv, das Umstülpen oder Umschließen von Penis, Fingern oder Sextoy sollte mit dem Gegenbegriff vielmehr als gleichwertig aktiver Akt betont werden.
Mit Zirklusion und Pussy lecken gegen hegemoniale Vorstellungen
Auch in der Musik finden wir Texte, in denen sich Künstlerinnen Wörter aneignen, die traditionell mit männlicher Dominanz und weiblicher Abwertung verbunden werden, etwa wenn das das feministische Duo SXTN übers Ficken und über Fotzen rappt. Auch ganz verschiedenen sexuellen Praktiken Raum zu geben kann unseren sprachlich verengten Horizont verkürzter Penetrationsvorstellungen erweitern: Die Rapperin Ebow macht in ihren Texten Platz fürs Pussy lecken und Doja Cat zeigen, dass konsensueller Sex und Erotik sich nicht gegenseitig ausschließen.
Immerhin entwickelt sich Sprache mit gesellschaftlicher Öffnung weiter: Während sich „Sex haben“ früher vor allem vaginale Penetration bezog, verwenden Aufklärungsinstitutionen wie die BZgA heute eine sehr breite Definition: Streicheln, Küssen, Oralsex, BDSM-Praktiken – Sex ist viel mehr als Penetration.
Sprache befindet sich stets im Wandel
Fairerweise muss man außerdem sagen: Nicht alle Wörter, die wir oft gebrauchen, zwingen uns einen männlichen Blick auf und propagieren heterosexuellen Penetrationssex als Norm. Beschreibungen wie „miteinander schlafen“, „sich gegenseitig vernaschen“, „schnackseln“, oder, vielleicht ein wenig kitschig, „Liebe machen“, können sich auf alle möglichen Praktiken und Geschlechterkonstellationen beziehen und lassen dabei offen, wer dabei wie aktiv welchen Part spielt.
Gibt es also eine richtige Art, über Sex zu sprechen, an die wir uns alle halten sollten? Sicher nicht. Sprache ist stets im Wandel, wir können uns Wörter aneignen, sie mit neuen Bedeutungen besetzen und neue Wörter erfinden. Aber uns sollte bewusst sein, woher die Wörter kommen, die uns umgeben, und wie sie in ihrem jeweiligen Kontext wirken. In unserer Ausstellung wollen wir dazu einen Anstoß geben.